Peter Lauster: Die Liebe - Psychologie eines Phänomens

Ein betagtes Buch von bleibender Aktualität - neu betrachtet

Zunächst möchte ich eine wahre Geschichte erzählen, von einem Mann namens Martin:

 

 Nach dem Erde der Beziehung mit Käte war er jetzt wieder Single. Lustig. Was für ein fremdes Wort. Als er Käte kennen gelernt hatte, war er des Suchens müde gewesen und deshalb in die emotionale Falle gestolpert. Jetzt ging es darum, wieder ein Suchender zu werden, zu sein. Suchen und finden, suchen und finden, das heißt auf dem Weg sein, das heißt Wachstum und Entwicklung. Es begann wieder eine Epoche der Kontaktanzeigen. Diesmal suchte er nicht nur im Bremer Blatt, sondern auch in der Tageszeitung. Erstmals gab er selber eine Chiffreanzeige auf, in den Bremer Nachrichten:

 

Lieber ein gutes Gespräch und nicht ins Bett als umgekehrt. Beziehungskiste und Eifersucht sind out; Austausch, Offenheit, Zärtlichkeit, Erotik sind gefragt. Liebesfähiger (im Sinne von Lauster) Mann sucht erlebnisfähige Frau ab 40, die Nähe mag, aber auch Distanz braucht.

Die ersten fünf Frauen, die ihm antworteten, waren allesamt der Ansicht, dass er die Zuschriften waschkörbeweise bekommen haben müsste, so sehr spreche sein Anzeigentext weibliche Seelen an. Sie irrten. Es blieb bei den fünfen.

 

Er traf alle fünf in telefonisch verabredeten blind dates, schlief aber nur mit einer: Ilse. Hinterher tat es ihm leid. Er hätte eigentlich bei nüchterner Betrachtung erkennen müssen, dass sie ihm nicht gefallen würde. Er hatte sich mit ihr im Bett regelrecht gelangweilt. Wesentlich spannender war da das Treffen mit Petra gewesen. Sie verabredeten sich auf dem Parkplatz an der Westerstraße, dort, wo immer der Zirkus Roncalli sein Zelt aufbaute und schlenderten hinunter zur Weser.

 

Vor dem Schulschiff Deutschland saßen sie im Grase und redeten. Petra hatte in ihrem Brief geschrieben: „Endlich mal ein Mann, der Peter Lauster kennt.” Die Frage stellte sich schnell, ob sie ihn denn kannte, beziehungsweise ihn verstanden hatte. Jeder hatte ein paar Lauster-Zitate aus „Die Liebe” parat und mirnichtsdirnichts waren sie beim Thema Eifersucht und Treue angelangt. „Wer das, was er liebt, auch besitzen will, der will zu viel”, rezitierte Martin und „Der wirklich liebesfähige Mensch ist nicht treu.” Das hatte sie glatt überlesen, bestritt vehement, dass Lauster „so etwas” geschrieben haben könnte.

 

Sie wolle einem Partner alle Freiheit geben, meinte Petra, "außer im Sex natürlich!" Martin hielt ihr entgegen, dass es Freiheit nicht scheibchenweise geben kann. "Die DDR-Bürger hatten zum Beispiel die Freiheit überall hin zu reisen", argumentierte er, "außer in den Westen. Und genau diese eine Ausnahme machte sie unfrei. Und außerdem, wieso eigentlich ,natürlich’?” „Natürlich was?” „Du hast gesagt, außer im Sex natürlich’. Da frage ich, wieso das natürlich ist.” Statt diese Frage zu beantworten, merkte Petra an, dass sie Durst hätte und gerne ein Bierchen trinken würde. Bis zur Lahnstraße war es nicht weit, wo Martin sich an die kleine Kneipe erinnerte, in der er ein oder zweimal mit Käte gewesen war. Petra rauchte. Martin bemerkte es, und er bemerkte auch, dass es ihm nichts ausmachte, woraus er schloss, dass er an Petra kein wirkliches Interesse hatte.

 

Petra kam noch einmal auf das Thema Freiheit und Eifersucht zurück und wollte von Martin genauer wissen, wie er sich das in der Praxis vorstelle. Er setzte wieder bei Lauster an, wiederholte seine Zitate, weil ihm andere gerade nicht einfielen und fügte hinzu: „Liebe hat mit Treue zunächst einmal nichts zu tun. Es kann Liebe mit und ohne Treue gebe und Treue mit und ohne Liebe.” „Das kann ich überhaupt nicht nachvollziehen”, sagte Petra, und Martin versuchte, zu erklären: „Mit Treue meinen wir jetzt doch sexuelle Ausschließlichkeit, oder?” Sie nickte. „Glaubst du nicht, dass es tausende von Ehepaaren gibt, wo beide nie mit jemand anderem geschlafen haben und sich dennoch schon seit Jahren nicht mehr lieben?” „Meine Eltern”, sagte Petra, "aber andersrum gibt's das nicht."

 

„So? Nimm mich: ich habe meine Frau sehr geliebt – und sie dennoch betrogen. Denn fremdgegangen bin ich nicht, weil ich sie nicht mehr liebte, sondern weil sie nicht mit mir schlafen wollte. Sie hingegen hat mich nicht betrogen, liebte mich aber auch nicht, hat mich am Schluss auch gehasst.”

 

„Und worauf willst du jetzt hinaus?”

 

"Seit ich sie verlassen habe, weiß ich, dass ich lieben will. Eine Frau, zwei Frauen, so wie's kommt - und auch mit ihnen schlafen. Und wenn meine Liebste mit einem anderen Mann Sex haben will, dann soll das auch möglich sein. Ohne Liebesentzug."

 

„Das sagt sich so dahin.”

 

„Nein, das sagt sich nicht so dahin. Ich habe meiner Frau, als wir im Sex nicht weiter kamen, sogar empfohlen, sich einen Liebhaber zu nehmen – was sie am Ende auch getan hat. Mit meiner kompletten Billigung. Ich wollte, dass sie das bekam, was ihr fehlte. Ein Ausdruck meiner Liebe.” „Ha, ha, ha”, sagte Petra ohne wirklich zu lachen. Das ist doch nicht dein Ernst.” „Ist mir schon klar, dass du das im Moment nicht glauben kannst. Oder willst.”

 

"Mit dieser Einstellung wirst du hübsch auf den Bauch fallen," sagte Petra. "Solche Beziehungen halten nicht lange, da bin ich mir sicher."

"Und du bist dir aber sicher, dass besitzergreifende, Treue fordernde Beziehungen stabiler sind?" Sie blieb die Antwort schuldig.

 

Gegen den gesellschaftlichen Konsens

Soweit also die kleine Geschichte aus dem Leben. Es geht, wie schon aus der Überschrift ersichtlich, um Peter Lauster und sein Buch Die Liebe, das erstmals 1980 im ECON-Verlag erschien und inzwischen eine Millionenauflage erreicht hat.

Dieser Riesenerfolg ist umso erstaunlicher, als Lauster Erkenntnisse und Ansichten über die Liebe äußerte, die absolut gegen den Strom des gesellschaftlichen Konsens, gegen den mainstream, wie man heute sagen würde, gingen.

 

Die beiden Sätze, die in der Geschichte vorkamen: "Wer das, was er liebt, auch besitzen will, der will zu viel" und "Der wirklich liebesfähige Mensch ist nicht treu." sind da typisch.

 

Und nicht nur die Petra aus der Geschichte hat dies überlesen. Wohl die meisten Leserinnen und Leser. Hängen geblieben sind in der Regel ganz andere Sätze wie zum Beispiel:

"Die Liebe ist das oberste Prinzip des Lebens, und der Hass ist eine Reaktion, die der Liebe verzweifelt zum Durchbruch verhelfen will."

"Die Liebe ist schöpferisch und findet im richtigen Moment das Richtige."

"Die Liebe selber ist frei von Problemen, in ihr ereignet sich Glückseligkeit, Sinnempfindung, Freude, Zufriedenheit und Erfüllung."

"Liebe ist nicht das Ereignis der sexuellen Befriedigung, sondern sexuelles Glück ... ist das Resultat der Liebe".

"Wer lieben kann, hat die tiefe Überzeugung, dass sein Leben Sinn hat."

"Liebesfähigkeit ist die Fähigkeit, die Außenwelt und auch sich selbst mit wachen Sinnen positiv wahrzunehmen."

 

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Subjektives Leseverständnis

Wenn wir mit fünf Personen reden, die Lausters Die Liebe gelesen haben, dann können wir leicht den Eindruck bekommen, sie hätten fünf verschiedene Bücher gelesen.

 

In einem kleinen (frei herunterladbaren) ebook "Liebe und Freiheit" hat Peter Lauster dieses Verständnisproblem selber anhand eines Diskussionsprotokolls behandelt. Hier einige Auszüge:

 

 

 Ein Diskussionsteilnehmer: »Ich bin der Meinung, wenn man etwas liebt, dann

 will man es festhalten und nicht loslassen. So kenne ich das. Das

 ist normal.« Viele stimmen ihm durch Kopfnicken bei, während

 einige widersprechend mit dem Kopf schütteln.

 Eine Teilnehmerin: »Sie sagen, dass derjenige, der den anderen liebt und ihn

 besitzen will, dass er ihn mit seiner Liebe fesselt oder einschnürt.

 Das ist aber eine niederschmetternde Aussage gegenüber der Lie-

 be. Dann halten Sie wohl auch nichts von der Ehe?«

 Lauster: „Die Liebe selbst ist gar nicht so besitzergreifend, denn sie ist

 zartfühlend und sehr sensibel. Durch die Ehe aber ergreifen wir,

 unabhängig von der Liebe, Besitz voneinander.“

 Die Teilnehmerin: »Sie weichen meiner Frage aus. Was halten Sie von der Ehe? Ich

 denke, dass Sie nichts davon halten, denn Sie halten wohl auch

 nichts davon, dass der, der liebt, den anderen besitzen will. Liebe

 ist aber ein Versprechen. Es kann doch nicht angehen, dass der,

 der liebt, einfach nur sagt: ›Ich liebe dich und lasse dich los. Ich

 liebe dich in diesem Moment, liebst du mich dann nicht mehr,

 nun ja, dann ist es auch egal.‹ Mit dieser Einstellung kann man

 doch keine Ehe führen!«

Ja, so können Missverständnisse aussehen. Sie können sogar noch krasser ausfallen. Auf einer Internetseite mit dem bezeichnenden Titel "Freie Liebe nach Peter Lauster" heißt es unter anderem:

 

"Für seine Auffassung von freier Liebe wichtig sind nicht Werte wie Treue , sondern Individualität und Gefühlsechtheit, ein Leben im Augenblick, im Hier und Jetzt. Liebe bedeutet für ihn emotionale, auch körperliche erotische Zuwendung zu seinen Mitmenschen. Es handelt sich also um eine hedonistische Liebesethik liberaler Art. Lauster argumentiert gegen Monogamie, für Polygamie."

 

Wie man "emotionale, auch körperliche erotische Zuwendung zu seinen Mitmenschen" als hedonistisch etikettieren kann, bleibt wohl das Geheimnis des Autors jener Website. Und die Stelle, wo Lauster gegen Monogamie und insbesondere für Polygamie argumentiert, habe ich bis heute in seinen Werken nicht gefunden.

 

Was Lauster wirklich meint, zeigt sich wohl eher in einem Satz wie diesem:

"Liebe ist etwas, das aus dem Augenblick heraus entsteht und das man deshalb nicht festhalten kann, sondern das nur im Augenblick lebendig ist. Liebe darf zu nichts verpflichten. Sie muss sich frei ereignen können. Liebe darf auch nicht an eine Verpflichtung zu lebenslanger Treue gebunden sein, dann wird sie schwerblütig."

 

Wer genau liest, erkennt, dass hier nicht steht, Lauster sei gegen Treue. Wogegen er ist, ist vielmehr, dass die Treue zur Bedingung für die Liebe erhoben wird. Wenn eine Beziehung dies fordert, kann sie die Liebe strangulieren.

 

Auch wenn seit dem ersten Erscheinen von Lausters Buch Jahrzehnte ins Land gegangen sind und Dutzende weitere Bücher zu den Themen Liebe, Beziehung, Treue etc. erschienen sind, so darf man doch feststellen, dass er Grundlegendes gesagt hat und dass davon nichts veraltet ist. TK.

Kommentare

Schön dein neuer Beitrag. Ehe ist für mich nicht an ein "Liebesversprechen" (Was es ja auch nach Lauster gar nicht geben kann.) gebunden, wohl aber an Treue. Die Ehe ist gerade dies Treu sein wollen. Treu im Sinne von dem andern zugewandt, sich für ihn einsetzen wollen, den eigenen Werten treu bleiben zu wollen, damit man verlässlich ist für den Partner. Mit sexueller "Treue" hat das gar nichts zu tun.

Christa Gertrud Maria, 19.8.16


Dankeschön. Das entspricht auch dem "erweiterten Treuebegriff", wie Robert Heeß ihn in seinem Buch "Ich liebe dich gerade" formuliert.

TK. 18.9.16


Also dein Blogpost hat mich angeregt, mein altes zerlesenes Exemplar von Die Liebe nochmal vorzukramen und ein wenig a travers zu lesen. Und ich staune doch, was ich da erinnerte und meinte gelesen zu haben.  Dass Lauster dagegen ist, "dass die Treue zur Bedingung für die Liebe erhoben wird. Wenn eine Beziehung dies fordert, kann sie die Liebe strangulieren." hatte ich so nicht verstanden. Und ich glaube auch zu wissen warum. Weil ich damals etwas anderes verstehen wollte, nämlich dass Liebe und Treue immer ein Doppelpack sein müssen, das alte romantische Ding halt. Danke für dein aufklärendes Blogpost. Ulrike M., Bremen 26.5.17